4 Ebenen wie Kinderkleidung zur Sozialisation beiträgt
Wusstet ihr, dass Mädchen - zumindest bis 2023 - in Deutschland durchschnittlich 11% weniger Taschengeld bekamen als Jungen? In den vergangenen Jahren zeigte sich, wie hier bei der repräsentativen Forsa-Studie, regelmäßig ein Ungleichgewicht zugunsten der Jungen. Erst 2023 gab es erstmals eine Angleichung bzw. 0,78 Cent mehr für Mädchen. Lässt sich hoffen, dass auch die Erwachsenen bald in Bezug auf den Gender-Pay-Gap nachziehen. 😉
Das Geschlechterungleichgewicht beginnt nicht erst im Erwachsenenalter, sondern zeigt sich schon früh in vielen Bereichen des Lebens – auch in der Kinderkleidung. Dabei ist Kleidung als mehr als nur ein Stück Stoff zu betrachten. Kleidung ist ein Medium, das Botschaften vermittelt und dazu beiträgt, wie Kinder sich selbst und ihre Möglichkeiten wahrnehmen.
Im Folgenden werden vier Ebenen vorgestellt, über die Kinderkleidung zur Sozialisation beiträgt und somit Chancengleichheit beeinflusst.
1. Farben und Motive
Von rosa und hellblau bis hin zu Häschen und Autos – schon von klein auf senden wir mit Kleidung Botschaften aus. Eine Studie aus dem Jahr 2018 hat gezeigt, dass die Sprüche und Bilder auf Kinderkleidung oft stark geschlechtsspezifisch sind. Bei Jungenkleidung dominieren Wörter wie "cool", "Abenteuer" und "Held", während bei Mädchenkleidung Begriffe wie "Liebe", "Lächeln" und "Magisch" im Vordergrund stehen. Diese unterschiedlichen Botschaften vermitteln schon früh, was von Jungen und Mädchen erwartet wird und welche Rollen sie in der Gesellschaft einnehmen sollen.
2. Schnitte und Stoffe
Die Schnitte und Materialien von Mädchen- und Jungenkleidung unterscheiden sich oft erheblich. Jungenkleidung ist meist weiter geschnitten und aus robusteren Stoffen gefertigt, während Mädchenkleidung oft figurbetonter und aus weniger strapazierfähigen Materialien hergestellt wird.
Dies kann sogar die Bewegungsfreiheit einschränken und beeinflussen, an welchen Aktivitäten Kinder teilnehmen. Wer hat zum Beispiel schon einmal versucht, mit Hot-Pants ähnlichen, kurzen Hosen eine Rutsche hinunter zu flitzen? Richtig, eins bleibt kleben, wenn nicht genug Stoff dazwischen ist. Und auch skinny Jeans, die keine so hohen Schritte ermöglichen, um als Dreijährige auf die hohe Rutsche zu kommen, sind ein Thema.
Jungen dagegen können in bequemen Hosen und robusten Stoffen meist freier spielen und toben.
3. Unser Verhalten als Spiegel
Wie wir auf die Kleidung von Kindern reagieren, verstärkt ebenfalls Geschlechterklischees. Mädchen werden oft für ihre hübschen Kleider gelobt, während Jungen selten Komplimente für ihre Kleidung erhalten. Stattdessen werden sie für ihre Taten und Fähigkeiten gelobt. Dies lehrt Mädchen früh, dass ihr Aussehen von großer Bedeutung ist, und verlangt von Jungen, sich weniger um ihr Äußeres zu kümmern. Solche Verhaltensweisen formen die Selbstwahrnehmung und das Selbstwertgefühl der Kinder auf subtile Weise.
4. Soziale Identität und Gruppenzugehörigkeit
Kleidung trägt auch dazu bei, ein "Wir-Gefühl" zu entwickeln. Durch die Einteilung in "Mädchenfarben" und "Jungenfarben" lernen Kinder, sich selbst und andere in bestimmte Gruppen einzuordnen. Dies kann dazu führen, dass Mädchen hauptsächlich mit Mädchen und Jungen hauptsächlich mit Jungen spielen, selbst wenn die Spielbereiche neutral gestaltet sind. Eine Studie aus dem Jahr 2006 der University of Texas zeigte, dass Kinder, die durch Kleidung in Gruppen eingeteilt wurden, starke Präferenzen für ihre eigene Gruppe entwickelten und diese bevorzugten. Solche Gruppenzugehörigkeiten können langfristige Auswirkungen auf die soziale Entwicklung und das Verständnis von Geschlechterrollen haben.
Was können wir tun?
Wie gelingt es uns, dass wir Kindern von Beginn an mit einem offenen Blick begegnen können und nicht unsere Glaubensvorstellungen über Mädchen und Jungen, über Frauen und Männer, überstülpen?
Selbstreflexion ist der erste Schritt. Lasst uns die eigenen Vorurteile hinterfragen und offen über Ungleichbehandlungen, die uns auffallen, sprechen. Lies gerne hier 10 Tipps zur Reflexion, die dabei helfen Kinder geschlechterreflektiert zu begleiten.
Eltern sowie alle Menschen, die Kinder auf ihrem Weg begleiten, haben eine wichtige Vorbildfunktion – auch wenn dies mit dem Eintritt in die Pubertät oft negiert wird. 😉 Als Vorbild lässt sich etwas bewirken. Tipps, wie es uns gelingen kann, ein bestärkendes Vorbild zu sein, findet ihr im Blog-Beitrag „Vorbild Eltern“.
Ebenso wichtig ist es, Kindern eine Vielfalt an Möglichkeiten zu bieten. Sei es bei der Kleidung, beim Spielzeug, bei Kinderbüchern oder anderen Kindermedien. Hilfreich ist es, die Kinderzimmer möglichst geschlechterneutral zu gestalten. Sowohl Jungen als auch Mädchen sollten Zugang zu ähnlichen Spielzeugen wie Puppen und Bauklötzen haben, ähnliche Farben zum Beispiel bei Kleidung angeboten kriegen und vielfältige Erzählungen geboten bekommen. So können sie aus dieser Vielfalt frei wählen und ihre Interessen unabhängig von Geschlechterklischees entwickeln.
Lasst uns gemeinsam die Geschichten ändern, die wir über Geschlechterrollen erzählen. Jedes Kind verdient es, ohne Einschränkungen durch Stereotype aufzuwachsen und sein volles Potenzial zu entfalten. Wenn wir hier einen offenen Blick bewahren, lassen wir Kindern alle Chancen zum Träumen, wer oder was sie sein können – und ermöglichen ihnen, sie selbst zu sein.
Fotos (von oben nach unten): Midjourney; Canva; Konstanze Meindl